Die 4 tragenden Säulen einer Anlageentscheidung sind: Risikobedarf, Risikotragfähigkeit, Risikobereitschaft und Risikowahrnehmung.
In diesem Beitrag gehen wir darauf ein, wie du mit den 4 Säulen eine Anlagestrategie entwerfen kannst, die perfekt zu dir passt.
Die wichtigsten Inhalte:
- Risikobedarf, Risikotragfähigkeit und Risikobereitschaft sollten miteinander im Einklang stehen
- Eine realistische Risikowahrnehmung erreichst du durch finanzielle Bildung
- Risikomaße können in unserer ungewissen Welt in die Irre führen
Inhaltsverzeichnis
Risiko und Rendite: Ein unzertrennliches Paar
Klären wir zunächst die Frage, warum es überhaupt wichtig ist, sich mit Risiko zu beschäftigen.
Dafür musst du nur verstehen, dass Erträge bei der Geldanlage immer die Entschädigung für ein eingegangenes Risiko darstellen. Wenn dir irgendjemand verspricht, dass er für dich risikolose Erträge erwirtschaften kann, solltest du das kritisch hinterfragen und im Zweifel einfach schreiend davonlaufen …
Das Angebot wird in 99,999% der Fälle unseriös sein. Selbst die sichersten Anlagen (beispielsweise Bundesanleihen) bergen ein gewisses Risiko und der Zins ist größtenteils die Entschädigung dafür, dass du dieses Risiko trägst.
Kommen wir zu den 4 Stationen, die dir helfen, dich mit dem Thema Risiko auseinanderzusetzen. Sie führen final dazu, dass du eine gute Anlageentscheidung treffen kannst, die nicht zwischendurch revidiert werden muss und dazu geeignet ist, dein Ziel zu erreichen.
Die vier Stationen sind:
- Risikobedarf
- Risikotragfähigkeit
- Risikobereitschaft
- Risikowahrnehmung
Wobei Risikobedarf und Risikotragfähigkeit objektive Kriterien und die Risikowahrnehmung und die Risikobereitschaft subjektive Faktoren sind, die von Mensch zu Mensch unterschiedlich empfunden werden.
Risikobedarf
Beim Risikobedarf stellt sich die Frage:
Wie viel Risiko musst du eingehen, damit aus Summe X, die du zur Verfügung hast, Summe Y wird.
Das bedeutet, dass du hier einfach die Frage beantworten musst, welche Rendite du erwirtschaften musst, um dein Ziel zu erreichen. Danach musst du dann theoretisch den Risikograd deiner Geldanlage auswählen. Dabei gilt:
Je mehr Risiko du eingehst, desto höher ist der Ertrag, den du erwarten darfst.
Gleichzeitige gilt auch der umgekehrte Schluss:
Je höher das Risiko ist, desto größer fallen potentielle Verluste aus.
Risikotragfähigkeit
Bei der Risikotragfähigkeit geht es um die Frage: Wie viel Risiko kannst du eingehen, ohne Gefahr zu laufen, in finanzielle Schwierigkeiten zu kommen?
Als Faustregel kann man sagen, dass junge Menschen eine höhere Risikotragfähigkeit haben als ältere Menschen. Das liegt daran, dass bei jungen Menschen das Humankapital ein deutlich größeres Gewicht hat als bei älteren Menschen. Wenn ein 30-jähriger einen größeren Verlust am Kapitalmarkt hinnehmen muss, dann hat er mehr Zeit diesen wieder herauszuarbeiten und den Verlust wettzumachen.
Wenn hingegen ein 60-jähriger einen herben Verlust bei seinem Kapitalvermögen hinnehmen muss, wird es ihm vergleichsweise schwerfallen, diesen mit seiner Arbeitskraft ausgleichen zu können.
Im Ruhestand sieht es noch kritischer aus. Dann ist der Wert der Arbeitskraft sehr klein und du bist auf dein Kapitalvermögen angewiesen. In der Folge ist die Risikotragfähigkeit objektiv betrachtet sehr gering … außer du hast ein sehr großes Kapitalvermögen und dir ist es egal, ob du ein bisschen was verlierst oder eben nicht.
Damit haben wir den Risikobedarf und die Risikotragfähigkeit kennengelernt. Es handelt sich dabei um objektive Kriterien, die sich einfach ermitteln lassen. Wenn du dich an die Planung machst, ist es wichtig, dass du Steuern und Sozialabgaben berücksichtigst, um ein realistisches Ergebnis zu erhalten.
Risikobereitschaft
Kommen wir zu den subjektiven Kriterien, die von Mensch zu Mensch verschieden wahrgenommen werden. Da hätten wir zum einen die Risikobereitschaft. Das ist einfach das Risikomaß, mit dem du ausdrückst, wie viel Risiko du eingehen möchtest.
Es ist möglich, dass du einen hohen Risikobedarf hast und deine Risikobereitschaft sehr gering ist. Du sagst beispielsweise:
Aktien sind nichts für mich. Die Schwankungen sind viel zu groß und wenn ich zehn Prozent meines Vermögens verliere, schlafe ich schlecht.
Problematisch wird eine geringe Risikobereitschaft, wenn du einen hohen Risikobedarf hast. Dann erreichst du entweder dein Ziel nicht oder musst dir ein Portfolio zusammenstellen, das außerhalb deiner Risikobereitschaft liegt. Das Problem ist bei letzterem, dass du dich bei Schwankungen vermutlich unwohl fühlst.
Nehmen die schlechten Gefühle Oberhand, löst du dein Portfolio vielleicht vorzeitig auf und beendest dein Investment mit einer negativen Anlageerfahrung. Dein ursprüngliches Ziel rückt in weite Ferne.
Die Herausforderung ist, dass man vorneweg schwer einschätzen kann, wie man auf Verluste reagiert. Ich habe es selbst schon erlebt, wie irrational man handeln kann, wenn man mit Verlusten konfrontiert ist …
Bei kleineren Beträgen sind die meisten noch entspannt. Aber wenn die Depots größer werden und sich bei einem Kursrutsch mehrere Jahreseinkommen verabschieden, fängt der Kopf schon anders an zu arbeiten und es werden schlechte Entscheidung getroffen.
Die Risikobereitschaft ist in der Regel ein sehr konsistentes Persönlichkeitsmerkmal. Wenn du mit dreißig eine bestimmte Risikobereitschaft hast, ist es wahrscheinlich, dass du mit vierzig immer noch eine ähnliche Risikobereitschaft aufweist. Was sich hingegen ändert, ist die Risikowahrnehmung.
Risikowahrnehmung
Die Risikowahrnehmung sagt etwas darüber aus, wie du ein Risiko empfindest und wie du es persönlich einschätzt. Diese Einschätzung ist stark davon abhängig, welche Erfahrungen du gemacht hast und welche Einflüsse dich geprägt haben. Ein kurzes Beispiel:
Jemand der zur Jahrtausendwende in die Telekom Aktie investiert hat und dabei den Großteil seines Kapitals verloren hat, nimmt die Aktienmärkte vermutlich anders wahr, als jemand der erst 2010 mit seinen Investments begonnen hat und seitdem nichts anderes gesehen hat als steigende Kurse.
Unser ehemaliger Telekomaktionär sagt vielleicht heute noch:
Aktienmärkte sind nur etwas für Spekulanten, da traue ich mich nie wieder heran. Das Risiko ist viel zu hoch.
Auf der anderen Seite sagt unser Glückspilz, der 2010 mit seinen Investments begonnen hat:
Aktienmärkte sind so etwas Tolles. Ich habe nur steigende Kurse gesehen und riesige Gewinne eingefahren. Eine Aktienquote von 100%? Da kann gar nichts schiefgehen … Verluste? Was ist das?
Beide Ansichten spiegeln eine verzerrte Risikowahrnehmung wider. In der Folge wird Ersterer ein zu defensives Portfolio wählen und vielleicht keine Chance haben, seine Ziele zu erreichen. Dagegen wird unser Glückspilz sich wundern, wenn es in ein, zwei oder drei Jahren mächtig nach unten geht und sich die Gewinne der letzten Jahre innerhalb von ein paar Monaten in Luft auflösen. Dann kommt er vielleicht ins Straucheln und verkauft – einfach aus der Angst heraus, dass es immer weiter nach unten geht und sich sein ganzes Kapital in Luft auflöst, das er über die letzten Jahre angespart hat.
Verlustperioden können an den Kapitalmärkten lange andauern. Da sprechen wir nicht von ein paar Monaten, sondern von mehreren Jahren und das kann emotional und finanziell schmerzen.
Um dem vorzubeugen, ist es ungemein hilfreich, ein Portfolio zu kreieren, das zur eigenen Risikobereitschaft, zum eigenen Risikobedarf und zur Risikotragfähigkeit passt. Und damit du einschätzen kannst, ob das alles passt, brauchst du eine konsistente Risikowahrnehmung. Die erreichst du, indem du dich mit dem Thema beschäftigst.
Also indem du zum Beispiel auf der Finanzküche stöberst, Bücher liest und dich mit Menschen unterhältst, die schon lange an den Kapitalmärkten dabei sind.
Schlechte Informationsquellen sind alle bunten Blätter, die jeden Monat ihre Meinung ändern – in denen einmal steht alles Geld in Aktien, es wird langfristig aufwärts gehen und im nächsten Monat steht der Crash naht, alles umschichten in Gold. Solche Schmierblätter leben davon, dass sie hohe Auflagen haben und dafür brauchen sie jeden Monat eine neue reißerische Überschrift … ansonsten werden weniger Zeitschriften verkauft.
Zwischenfazit
Also fassen wir noch mal zusammen:
Die vier Stationen, die es abzulaufen gilt, sind Risikobedarf und Risikotragfähigkeit zum einen. Dabei handelt es sich um objektive Kriterien, die du einfach ermitteln kannst. Du legst dein Ziel fest und schaust, welche Verluste du maximal verkraften kannst und welche Rendite du erwirtschaften musst, um mit deinem vorhandenen Kapital das gewünschte Ergebnis zu erreichen.
Zum anderen haben wir die Risikobereitschaft und die Risikowahrnehmung, bei denen es sich um subjektive Kriterien handelt. Hier musst du schauen, dass du das Risiko möglichst realistisch wahrnimmst. Wobei es ungemein hilfreich ist, sich mit den möglichen Risiken zu beschäftigen und sich darüber Wissen anzueignen.
Problematisch wird es, wenn Risikobedarf, Risikobereitschaft und Risikotragfähigkeit nicht zusammenpassen. Dann musst du dir unter Umständen ein Portfolio aufbauen, mit dem du dich nicht wohlfühlst und das solltest du vermeiden. Dafür gibt es zwei Möglichkeiten:
- Du passt deine Zielstellung an
- Du besorgst dir mehr Mittel
Für letzteres gilt es einfach kreativ zu werden und zu schauen, ob du neben deiner Arbeit etwas zusätzlich machen kannst oder ob du innerhalb deiner bisherigen Arbeit dein Einkommen erhöhen kannst – da sind deiner Kreativität keine Grenzen gesetzt …
Belohnt wirst du für deinen Aufwand mit einer Geldanlage, die zu dir passt und dazu geeignet ist, deine Ziele zu erreichen.
Ungewissheit: Wenn Risikomaße in die Irre führen
Zum Schluss der Episode möchte ich noch ein Wort zum Thema Risiko und Ungewissheit verlieren. Wenn du dich mit Risiko bei der Geldanlage beschäftigst, wirst du auf verschiedene Risikomaße treffen. Eines der bekanntesten ist wohl die Volatilität …
Dabei beziehen sich Risikomaße auf die Vergangenheit. Das Problem ist, dass die Vergangenheit nur bedingt Aussagen für die Zukunft zulässt. Die Faktoren, die das Risiko der Geldanlage in der Vergangenheit beeinflusst haben, müssen nicht die gleichen Faktoren sein, die das Risiko in Zukunft bestimmen werden. Wir leben nicht in nur in einer riskanten Welt, sondern vor allem in einer ungewissen Welt.
Ungewissheit ist es auch, was uns bei der Geldanlage erwartet. Deswegen scheinen Börsencrashs auch immer aus dem Nichts zu kommen. Sie lassen sich mit den vorhandenen Risikomodellen kaum vorhersagen, da diese auf Vergangenheitsdaten beruhen. Da hilft es auch nichts, wenn unsere Risikomodelle immer komplexer werden … das einzige was wir dadurch erreichen, ist trügerische Sicherheit.
Wir müssen akzeptieren, dass wir die Zukunft nicht vorhersagen können. Nur so können wir vorhandene Informationen richtig einordnen und die Illusion vermeiden, dass wenn wir Entscheidungen treffen, diese in jedem Fall zum erwünschten Ergebnis führen …
Eine Geldanlage kann sich in Zukunft völlig anders verhalten, als sie es in der Vergangenheit getan hat. Deshalb ist es wichtig, dass du dich regelmäßig mit deinen Investments beschäftigst und den Ist- mit dem Soll-Zustand abgleichst. Bei Abweichungen kannst du so nachjustieren.
Die Truthahnillusion
Beenden möchte ich den Beitrag mit einer kleinen Geschichte: Der Truthahnillusion. Sie verdeutlicht sehr schön den Unterschied zwischen Risiko und Ungewissheit.
Stell dir ein kleines Truthahn Baby vor, das ich gerade aus seinem Ei gekämpft hat – und auf das ein großer Bauer zukommt …
Unser Truthahnbaby hat große Angst und fragt sich, ob ihm ein Leid widerfährt. Zu seiner Überraschung wird es vom Bauern gefüttert. Am zweiten Tag wiederholt sich das Spiel. Das Truthahnbaby hat Angst, doch der Bauer füttert es, statt ihm wehzutun.
Jeden Tag seines Lebens fragt sich unser Truthahn, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass der Bauer zum Füttern kommt und ihm kein Leid zufügt. Zur Berechnung des Risikos nutzt er die Laplace Regel, welche die Wahrscheinlichkeit beschreibt, dass sich ein Ereignis, welches sich bereits n-Male zuvor ereignet hat, wiederholt.
Am zweiten Tag füttert der Bauer unser Truthahnjunges mit einer Wahrscheinlichkeit von 2/3, am fünfzigsten Tag mit einer Wahrscheinlichkeit von 50/51. Mit jedem Tag der verstreicht, wächst das Zutrauen unseres Truthahns zum Bauer. Irgendwann hat er keine Angst mehr, da ihm sein Risikomaß sagt, dass er keine Angst zu haben braucht.
Doch die Sicherheit ist trügerisch. Als unser Truthahn ausgewachsen ist, ist er sich sicher, dass der Bauer sein Freund ist … was unser Truthahn nicht wissen kann:
Thanksgiving naht.
Am 100. Tag schlachtet der Bauer unseren ahnungslosen Truthahn, dessen Risikomaß kläglich versagt.
Das Problem unseres Truthahns war, dass sich sein Risikomaß aus Vergangenheitsdaten gespeist hat. Und im Datensatz des Truthahns war Thanksgiving nicht enthalten …
Wenn eins gewiss ist, dann ist es die Ungewissheit der Zukunft.
Dein Finanzkoch
Christoph Geiler